Im Dezember 1989 durchsuchte die Militärstaatsanwaltschaft die ehemaligen Diensträume von Stasi-Chef Erich Mielke. Sie sollte persönliche Gegenstände und Unterlagen des einstigen Ministers sicherstellen. Dabei wurde auch ein roter Koffer gefunden. Um seinen überraschenden Inhalt ranken sich bis heute Legenden.

Zum Inhalt springen

Mielkes Roter Koffer zum Zeitpunkt der Beschlagnahmung

Durchsuchung in der Stasi-Zentrale

Ende 1989 war das Ministerium für Staatssicherheit, dessen Chef jahrzehntelang Erich Mielke gewesen war, bereits Geschichte. Auch sein Nachfolger, das Amt für Nationale Sicherheit (AfNS), befand sich in Auflösung. Überall in den Bezirken der DDR besetzten Bürgerkomitees Liegenschaften der Stasi, um die Unterlagen der Geheimpolizei zu sichern. Mielke selbst befand sich in Untersuchungshaft und wartete auf seine Anklage.

In der Zentrale der Geheimpolizei in Berlin-Lichtenberg herrschte zu diesem Zeitpunkt noch gespannte Ruhe. Die Mitarbeiter des AfNS versahen weiter ihren Dienst, Akten wurden vernichtet. Da erschienen Angehörige der Militärstaatsanwaltschaft auf dem Gelände. Sie hatten den Auftrag, in Mielkes ehemaligen Büroräumen persönliche Gegenstände und Unterlagen sicherzustellen – als Beweismittel für die bevorstehenden Prozesse gegen Mielke.

Dabei stießen sie in Schränken und Tresoren vor allem auf allerlei Plunder, gesammelte Geburtstagsgeschenke Mielkes zum Beispiel, Armbanduhren, Medaillen, Spirituosen, eine silberne Büste von Mielkes Vorbild Feliks Dzierzynski und eine Totenmaske von Lenin aus Gips. Dazwischen fand sich in einem Stahlschrank ein roter Kunstlederkoffer mit brisantem Inhalt.

Wo genau der Koffer aufgefunden wurde lässt sich nicht mehr rekonstruieren. Beteiligte Staatsanwälte erinnern sich an einen Tresor im Keller, der Mielke zugeordnet werden konnte und deshalb ebenfalls durchsucht wurde. Auf Fotos der Durchsuchung, die noch in die Unterlagen der Stasi eingingen, ist der Koffer in einem Stahlschrank im Büro des Leiters von Mielkes Sekretariat Hans Carlsohn zu sehen.

Sicher ist hingegen, was sich darin befand. Im Wesentlichen waren es Gerichtsakten aus der Zeit des Dritten Reichs. Sie stammen aus einem Hochverratsverfahren von 1937 gegen den Deutschen Kommunisten Bruno Baum und den in diesem Prozess mitangeklagten Erich Honecker. Außerdem enthielt der Koffer eine undatierte Auswertung der Gerichtsakten durch das MfS sowie private Unterlagen mit Bezug zu Honecker.

Unterlagen aus Mielkes "rotem Koffer"

Brisantes Material in rotem Kunstleder

Der Inhalt erschien den durchsuchenden Staatsanwälten brisant. So ist den Gerichtsakten zu entnehmen, dass es Honeckers mangelnde Vorsicht war, die zum Auffliegen einer tschechischen Kundschafterin und schließlich seiner gesamten Widerstandsgruppe geführt hatte. Die Akten belegen auch, dass Honecker wohl umfassend ausgesagt und dadurch seine mitgefangenen Genossen belastet hatte. Die MfS-interne Analyse der Akten stellt fest, das Honecker "ziemlich ausführliche Angaben" gemacht habe.

Diese Information stand dem öffentlichen Bild Honeckers als geradezu mustergültigem kommunistischem Widerstandskämpfer entgegen. Auch angesichts der harschen Haftbedingungen und der Verhörmethoden der Gestapo wurde von einem solchen erwartet, eisern zu schweigen.

Außerdem enthalten die Akten für Honecker unbequeme Formulierungen, etwa aus zwei Gnadengesuchen, die Honeckers Vater 1939 und 1942 für seinen Sohn gestellt hatte. Darin schreibt der Vater, dass Honecker dem Kommunismus abschwöre. Er sehe "seine Jugendideale im jetzigen Staat verwirklicht" und sei auch bereit, für den NS-Staat zu kämpfen.

Darüber hinaus fanden sich im Koffer private, geradezu zänkische Beschwerdebriefe von Honeckers späterer Ehefrau Margot Feist und seiner ersten Ehefrau Edith Baumann an Walter Ulbricht. Darin versuchen die beiden Frauen, einander bei Ulbricht anzuschwärzen und so die jeweilige Konkurrentin kalt zu stellen. Eine Nachforschung der Stasi über Umbaukosten für einen privaten Bungalow runden den Inhalt des Koffers ab. Der Umbau war aus staatlichen Mitteln finanziert worden, das Haus gehörte pikanterweise einer Liebschaft Honeckers.

Wäre all das bekannt geworden, hätte dies Honeckers Karriere und seinem öffentlichen Bild in der DDR stark geschadet. Die Staatsanwälte vermuteten deshalb 1989, dass Mielke das Material zusammengestellt hatte, um Honecker unter Druck setzen zu können, sollte dies nötig werden. Der Schluss lag nahe: das Zusammenstellen von belastendem Material für Erpressungen, so genanntem "Kompromat", gehörte zum Handwerkszeug der Stasi.

Erich Mielke, Erich Honecker und Walter Ulbricht bei einem Empfang zum 20. Jahrestages des MfS.

Mielkes nebulöse Drohung

Der "Rote Koffer" als Erpressungsmaterial des Geheimpolizei-Chefs gegen den stärksten Mann im Staat wurde später zum Mythos. Befeuert wurde er durch einen geheimnisvollen Wortwechsel zwischen Mielke und Honecker, der von mehreren Zeugen aus der legendären Sitzung des Politbüros am 17. Oktober 1989 überliefert ist.

In dieser Sitzung hatte Willi Stoph, der Ministerpräsident der DDR, Honecker zum Rücktritt von seinen Posten als Staatsratsvorsitzenden und Generalsekretär der SED aufgefordert. Stoph konnte sich dabei auf die große Mehrheit des Politbüros stützen, zu der auch Stasi-Chef Mielke gehörte.

„Erich, wenn du nicht zurücktrittst, dann packe ich aus.“

Erich Mielke
Sitzung des Politbüros am 17. Oktober 1989

Als Honecker sich uneinsichtig zeigte und seinen Sturz zunächst nicht wahrhaben wollte, soll Mielke gesagt haben: "Erich, wenn du nicht zurücktrittst, dann packe ich aus, und dann werden sich noch manche wundern." Honecker soll irritiert geschaut und dann erwidert haben: "Dann tu es doch." Mielke habe dann noch etwas gegrummelt, aber niemand in der Runde hakte nach. Denn keiner verstand, womit Mielke da drohen wollte. Ob er damit den Inhalt des "Roten Koffers" meinte, ist bis heute nicht geklärt.

Der "Rote Koffer" im Stasi-Museum

Odyssee nach der Friedlichen Revolution

Auch der weitere Weg des "Roten Koffers" aus Mielkes Stahlschrank ist zum Teil legendenumrankt. Nach seiner Sicherstellung durch die Militärstaatsanwälte wurde er der DDR-Generalstaatsanwaltschaft überstellt. Nach der Wiedervereinigung wurde der Koffer allerdings nicht an die zuständige Berliner Justizsenatorin und ihre Verwaltung übergeben, sondern galt als verschollen.

Ein junger DDR-Staatsanwalt, der bei der Beschlagnahmung anwesend war, machte die ZDF-Fernsehredaktion "Kennzeichen D" darauf aufmerksam, die den Koffer nach mehrwöchigen Recherchen aufspürte. Ob er schlicht "verbummelt" worden war, ob ihn 'alte Genossen' aus dem Verkehr ziehen wollten oder Staatsanwälte und ehemalige Kripo- und Justizbedienstete damit eine Geschäft machen wollten, blieb unklar. Zeitweise war er mehreren Zeitschriftenredaktionen für viel Geld angeboten worden.

Als die Fernsehrechercheure diejenigen aufspürten, die ihn zuletzt in den Händen hatten, wurde der Koffer über Nacht von einem Boten bei der damaligen Berliner Justizsenatorin Jutta Limbach abgegeben, die ihn an die Bundesanwaltschaft weiterleitete. Dort konnte ihn die Fernsehredaktion einsehen und strahlte am 14. November 1990 einen Beitrag aus, der die Spurensuche und den Kofferinhalt ausführlich beschrieb. Danach durchlief der "Rote Koffer" mehrere Ministerien, um schließlich 1995 dem Bundesarchiv überstellt zu werden.

Am 30. März 2004 kam der Koffer mit bewegter Geschichte von dort als Dauerleihgabe ins Stasi-Unterlagen-Archiv. Die Originaldokumente aus dem Koffer, die keine Stasi-Dokumente sind, verblieben im Bundesarchiv. 2015 schließlich landete der "Rote Koffer" schließlich wieder dort, wo er einst aufgefunden worden war. Er ist seitdem in der Daueraustellung "Staatssicherheit in der SED-Diktatur" in "Haus 1" zu sehen, dem ehemaligen Dienstsitz von Erich Mielke.

  1. Zu allen Geschichten