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Das zerrissene und wiederhergestellte Bild zeigt den Blick in eine schneebedeckte Winterlandschaft. Dort steht ein Schild: "Achtung Staatsgrenze"

Picknick in die Freiheit

Im Spätsommer 1989 bekam der Eiserne Vorhang zwischen Ost und West für kurze Zeit ein kleines Loch. Am 19. August 1989 veranstalteten das Ungarische Demokratische Forum und die Paneuropa-Union ein Picknick an der ungarisch-österreichischen Grenze, um für den Abbau der Grenzanlagen und für ein geeintes Europa zu demonstrieren. Dabei kam es zu einer kurzen symbolischen Grenzöffnung. Einige hundert DDR-Bürger nutzten diese Möglichkeit, um über die Grenze in das österreichische St. Margareten zu gelangen. Der Stasi blieb nur die Rückführung der verlassenen PKW der Geflüchteten.

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Grenzöffnung im Rahmenprogramm

Ende 1988 setzte sich in der politischen Führung der Volksrepublik Ungarn langsam eine Erkenntnis durch: Der Stacheldraht und die Minen an der Westgrenze des Landes müssten aus ökonomischen, technischen und moralischen Gründen abgebaut werden. Am 2. Mai 1989 wurde aus dem Plan Realität. Die Außenminister Alois Mock (Österreich) und Gyula Horn (Ungarn) zerschnitten demonstrativ den Eisernen Vorhang, die Meldeanlagen wurden abgeschaltet. Die Sowjetunion ließ die Ungarn gewähren.

Ungefähr einen Monat später aßen Ferenc Mészáros vom Ungarischen Demokratischen Forum (MDF) und der Präsident der Paneuropa-Union Otto von Habsburg bei einem Empfang gemeinsam zu Mittag. Bei dieser Gelegenheit kamen sie auf die Idee, das gemeinsame Gespräch über die Situation am Eisernen Vorhang bei einem Picknick an der ungarisch-österreichischen Grenze in Sopron fortzusetzen. Das MDF nahm den Vorschlag auf und machte sich an die Organisation. Als Schirmherren gewannen sie Otto von Habsburg und den ungarische Staatsminister Imre Pozsgay.

Das Konzept sah, neben einem gemeinsamen Picknick, eine symbolische Grenzöffnung und ein Rahmenprogramm vor. Die Initiatoren holten Genehmigungen auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs ein und stellten zweisprachige Plakate her, um das Vorhaben bekannt zu machen. Das hatte zur Folge, dass auch zahlreiche DDR-Bürger, die zu diesem Zeitpunkt ihren Sommerurlaub in Ungarn verbrachten, davon erfuhren.

Paneupopäisches Picknick in Sopron am Ort des [Zeichnung eines Stacheldrahts mit einer Rose.] "Eisernen Vorhangs" Wir laden Sie am 19.Aug.1989 von 15.00 Uhr  nach Sopronpuszta ein. [unleserlich] neben der gewesenen Grenzsperre liegenden Gebiet, wo Sie namhafte Vertreter des sich erneuerten ungarischen kulturellen und politischen Lebens treffen können.  Vor Beginn der Veranstaltung werden unsere Verteter im Rahmen einer einmaligen okkasionellen Grenzüberschreitung an der "grünen Grenze" St. Margarethen besuchen. Wer aus Österreich nach Sopron mit uns kommen möchte, soll um 14.00 Uhr am Hauptplatz von St. Margerethen sein! [Neben beiden Absätzen ist auf der rechten Seite eine skizzenhaft gezeichnete Karte von Sopron und Umgebung zu sehen.]  Schirmherren unserer Veranstaltung: dr. Otto Habsburg [klein darunter:(Abgeordneter des Europaparlament)] und Imre Pozsgay [klein darunter: (Staatsminister)]  Programm: 15.00 - 16.30: Botschaft der Schirmherren der Veranstaltung, Reden von namhaften Künstlern, Politikern (Sándor Csoóri, György Konrád, usw.). Vorführung von Tanzgruppen und Gesangchören.  16.30 - 18.00: "Baue ab und nimm mit!" Die Teilnehmer dürfen sich selbst am Abriss des "Eisernen Vorhangs" beteiligen und das mit Zertifikat versehene Stück mitnehmen!  von 18.00 bis spät abends: Siebenbürgisches Tanzhaus, Speckbraten, Lagerfeuer. Buffet: Kalte und warme Speisen an Ort und Stelle!  Unsere Veranstaltung wurde unterstützt von: Verwaltungsausschuss Kószec-Hegyaljai; Raab--Odenburg--Ebenfurth Eisenbahn; Hungarhotels  Alle Interessierten sind willkommen! (Ungarisches Demokratisches Forum [unleserlich] - Oppositioneller Rundtisch von Sopron: FiDeSz, [unleserlich], MDF, SzDSz)

DDR-Bürger tauchen auf

Gegen Mittag tauchten die ersten DDR-Bürger am Ort des Geschehens auf und überschritten die Grenze in Richtung des österreichischen Ortes St. Margarethen. Die ungarischen Grenzsoldaten waren überrascht, reagierten jedoch besonnen und ignorierten die etwa 600 DDR-Bürger, die an diesem Tag in den Westen gelangten, schlichtweg. Am Straßenrand blieb eine riesige Schlange zurückgelassener Fahrzeuge stehen. Die Flüchtlinge nahmen nur mit, was sie tragen konnten.

Obwohl die Operativgruppe des Ministeriums für Staatssicherheit, der Präsenz der Stasi in Ungarn, Informationen über das Paneuropäische Picknick hatte, reagierten die Offiziere nicht. Sie hatten zum Zeitpunkt der Massenflucht keine Anweisungen aus Ost-Berlin vorliegen. Der Stasi blieb nichts weiter übrig, als den Rücktransport der verlassenen Fahrzeuge zu organisieren.

Dokument in der Stasi-Mediathek ansehen

Nach den Ereignissen des Paneuropäischen Picknicks wurden die Sicherheitsmaßnahmen an der Grenze zu Österreich dann wieder verschärft, so dass es kaum noch zu Fluchten kam. Am 11. September 1989 öffnete Ungarn seine Grenzen für DDR-Bürger endgültig, fast zwei Monate später fiel die Mauer in Berlin und der Eiserne Vorhang war nur noch Geschichte.