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Haus der Ministerien in der Leipziger Straße

Aktion "Licht"

Im Januar 1962 sah die DDR-Partei- und Staatsführung die Zeit für gekommen, um einen einzigartigen Raubzug auf deutschem Boden zu starten. Mit der Aktion "Licht" ließ das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) in nahezu allen Banken der DDR heimlich Safes und Schließfächer öffnen.

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Das MfS öffnete Safes und Schließfächer

Die Aktion war so geheim, dass selbst die Einsatzbefehle anschließend wieder eingesammelt werden mussten. An (von der Stasi geschätzten) etwa 3.000 - 4.000 Einsatzorten wurden Panzerschränke, Wertpapierdepots oder Schließfächer geöffnet, die lange Zeit nicht mehr eingesehen worden waren, zu denen es keinen Eigentumsnachweis gab oder deren Eigentumsbezüge die Stasi nicht interessierten. Ziel war laut einem vertraulichen Schreiben des Ministers für Staatssicherheit, Erich Mielke, vom 20. Dezember 1961, die Ermittlung und Sicherstellung "bisher nicht ordnungsgemäß erfasster Wertgegenstände, die gesellschaftliches Eigentum" seien, vorgeblich um "Schieber- und Spekulantentum zu unterbinden." Individuelle Eigentumsrechte blendete die Stasi aus.

Um die Details zu planen, lud Mielke die Leiter der Stasi-Bezirksverwaltungen für den 3. Januar 1962 zu einer Dienstbesprechung ein, der Start der Aktion "Licht" sollte drei Tage später erfolgen, die Auswertung sollte "bis zum 09.01.1962, 12 Uhr an die zentrale Einsatzgruppe" übermittelt werden.

 

Schwarz-Weiß-Aufnahme von Erich Mielke

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Der Gefahr der staatlichen Unrechtshandlungen bewusst, hatte die SED das Ministerium für Staatssicherheit mit der Planung und Durchführung der Aktion "Licht" beauftragt, die in zwei Etappen durchgeführt wurde. Stasi-Chef Erich Mielke nahm sich der Sache persönlich an und erteilte "schriftliche und mündliche" Weisungen zur "Vorbereitung und Durchführung der politisch-operativen Maßnahmen in der Aktion Licht".

Alle Maßnahmen seien mit "operativer Umsicht und Klugheit, bei ständiger Einhaltung der Konspiration, durchzuführen", ordnete Mielke an, auch in Objekten der Deutschen Post, Deutschen Reichsbahn, in Warenhäusern und "ehemaligen kapitalistischen Konzern- und Grossbetrieben".

Die Aktionen in den Banken und Sparkassen wurden "konspirativ" mithilfe von IM vorbereitet, ohne Wissen der Mitarbeiter, zum Teil wurde noch nicht einmal die Leitung im Vorfeld verständigt. Auch die ersten Sekretäre der SED-Kreisleitungen wurden erst unmittelbar vor Beginn der Aktion unterrichtet.

Eventuell vorhandene Alarmanlagen wurden im Vorfeld mit Hilfe eingesetzter IM in den Banken geortet und außer Betrieb gesetzt. Ausgespäht werden sollten darüber hinaus auch Privathäuser, in die offensichtlich ebenfalls konspirative Einbrüche geplant waren, um auch dort in vergessenen Safes nach weiterem "Gesellschaftseigentum" zu suchen.

Beschlagnahme von Wertgegenständen

Bei den im Rahmen dieser Aktion "Licht" konfiszierten Wertgegenständen handelte es sich um Schmuck, Silberbesteck, Uhren, Gemälde, Porzellan, Briefmarkensammlungen, kostbare Handschriften (z.B. von Fontane, Hoffmann v. Fallersleben, Gerhard Hauptmann, Goethe, Darwin, Gustav Freytag u.a.), aber auch um Aktien, Lebensversicherungen und Sparbücher.

Den Gesamtwert der Beute taxierte die Stasi auf damals 4,1 Mio. DM. Diese Summe wurde in einer "streng geheimen" Auflistung aus dem Ministerium für Staatssicherheit vom 11. Juli 1962 bilanziert. Auf den Folgeseiten wird zur Eile bei der Verwertung der Gegenstände gemahnt, "da bei einigen der sichergestellten Gegenstände die Gefahr der Wertminderung oder des Verderbs besteht".

Denn das Ziel von SED und Stasi war es, die Wertgegenstände zügig zu Geld zu machen, sei es durch Zuführung zum Edelmetallfonds der Republik oder im Export. Erbeuteter Schmuck sollte ggf. "durch modisch bedingte Umarbeitung"  extra exportfähiger gemacht werden, dies geht auch aus nachfolgender Verfügung des an der Aktion beteiligten DDR-Ministeriums für Finanzen vom 14. September 1962 hervor:

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Die Herkunft der Beute

Die Tatsache, dass es sich bei der Beute auch um rechtmäßig erworbenen Besitz und Eigentum von Opfern des Nationalsozialismus handeln könnte, berührte die Verantwortlichen aus SED, Staat und Staatssicherheit offenbar kaum. Wiederholt findet sich der allgemein gehaltene Hinweis, dass es sich um den Besitz „längst verstorbener bzw. durch Kriegsereignisse verschollener Personen"  handele, auch auf eine "faschistische"  oder "kapitalistische"  Herkunft von Wertgegenständen wurde verwiesen. Erbrechtsfragen widmete die Staatssicherheit keine Aufmerksamkeit. Ebenso wurde Material aus der Nachkriegszeit konfisziert, darunter "Gegenstände" und "Sparbücher republikflüchtiger Personen" (BArch, MfS, HA XVIII, Nr. 13326, Bl. 15, 17).

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Auch das versehentliche Öffnen von Schließfächern "von Personen, die die Fächer ordnungsgemäß gemietet haben" wurde protokolliert. Betroffenen sollte vorgegaukelt werden, "daß im Zuge von Renovierungen und Neuausbau sowie Verschrottung verschiedener alter Schränke versehentlich ihre Fächer mit aufgemacht wurden".

Neben den DDR-Finanzinstituten wurden auch Safes aus der Zeit vor 1945 in Betrieben durchsucht. Das gleiche Schicksal widerfuhr Schlössern oder Museen, die ebenfalls nach Geheimverstecken ausgekundschaftet wurden. Aber auch alte Bergwerke wurden systematisch nach Geheimgängen mit Depots von im Krieg versteckten Wertgegenständen durchstöbert.

Bilanz des staatlichen Raubzugs

Die beteiligten MfS-Bezirksstellen listeten nach den Durchsuchungen alle beschlagnahmten Gegenstände auf und erstatteten Erich Mielkes Arbeitsstab Bericht. Im Oktober 1962 wurde die Beute des staatlichen Raubzugs dem DDR-Finanzministerium übergeben – ob komplett oder nur Teile dessen, lässt sich nicht mehr feststellen. Die Auflistung, die am 13. Oktober 1962 an die Tresorverwaltung des Ministeriums für Finanzen ging, erfasst Gegenstände im Gesamtwert von rund 2,37 Millionen DM.

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Für aus der NS-Zeit stammende Wertgegenstände wurde ein besonderer Markt ausgemacht: die Bundesrepublik. So wurde für Briefmarken, die dem MfS als "am meisten verderbegefährdet" galten, "der Verkauf in Westdeutschland oder Westberlin" empfohlen, "da die Werte hauptsächlich aus der Zeit des Faschismus stammen, für die nach Meinung von Fachleuten hohe Westmarkbeträge zu erzielen sind". Nach DDR-Recht war ein solcher Handel mit NS-Devotionalien strafbar.

Für ungenutzte Safes wurde erwogen, sie einzuschmelzen, um den verwendeten Stahl und hochwertige Metalle, wie Kupfer, Messing, Weißblech "der Volkswirtschaft nutzbar zu machen".

Alle an der Aktion Licht beteiligten Finanzbeamten mussten eine Stillschweigenserklärung unterzeichnen, ebenfalls Kunstsachverständige, Philatelisten und Juweliere, die anschließend zur Taxierung der Wertgegenstände eingesetzt wurden.

Ebenfalls aufgefunden wurden bei der Aktion Dokumente von NS-Tätern, z.B. Parteibücher oder Auszeichnungen durch die NSDAP. Ein Protokoll der Bezirksverwaltung Magdeburg hält fest, dass etwa aus dem Betrieb VEB Fahlberg-List 25 Personalakten eingezogen wurden. Darunter befanden sich "5 Akten über Werkschutzangehörige, die hauptsächlich Mitglieder der SS waren, 2 Personalakten von Beauftragten der Gestapo im Betrieb, 2 Personalakten über Spitzel der Gestapo und zur Gestapo verpflichteter Sekretärin, 16 Personalakten über Funktionäre der NSDAP".

Solche Dokumente sollten gegebenenfalls "operativ" benutzt werden, wird in mehreren Unterlagen empfohlen. Ob betroffene NS-Täter bestraft oder zur Mitarbeit beim MfS erpresst werden sollten, bleibt dabei offen.

Stasi-Chef Mielke selber bilanzierte die Aktion schon in Zwischenberichten hochzufrieden, sie habe den "erwarteten Erfolg" gebracht. "Sowohl politisch operativ auswertbare Dokumente, als auch eine Vielzahl von Wertgegenständen" seien sichergestellt worden.

 

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Neun Jahre später, 1971 zeigte sich die Stasi aber auch selbstkritisch in Bezug auf die Aktion. Ein Hauptmann der MfS-Hauptabteilung XVIII rügte am 23. Februar 1971 ein relativ ungeordnetes Vorgehen bei der Aktion, welches das MfS in Misskredit bringen könnte: "Der Ursprung der einzelnen im Rahmen der Aktion eingelieferten Gegenstände ist nicht nachvollziehbar und bekannt. Selbst in Fällen, wo frühere Eigentümer bei Einlieferung der Masse bekannt waren, ist durch die Zusammenfassung der einzelnen Gegenstände nach Verwendungszweck und Verwertungsmöglichkeit... dieser Nachweis nicht mehr zu führen". Auch der Nachweis "u.U. versehentlich eingezogener ausländischer Vermögenswerte" sei deshalb unmöglich.

Der MfS-Hauptmann zeigte sich daher besorgt, dass das MfS "als durchführendes Organ" aufgrund des Übergabeprotokolls an das DDR-Finanzministerium vom 13.10.1962 "nicht rechtlich entlastet" sei. Daher sei eine zusätzliche Spurenverwischung notwendig: "Durch zuverlässige Kräfte in allen Finanzinstitutionen der DDR wird z.Z. überprüft, ob dort noch Unterlagen über die Aktion ‚Licht‘ vorliegen", notiert Hauptmann Wilberg. Für die kalte Enteignung von 1962 sollte es keine Beweise mehr geben.

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