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Ausschnitt aus der Akte "Besteck"

Bestecke kontra Rohre

Im Dezember 1984 weitete die DDR die Produktion von Edelstahlbestecken aus. Neben dem privaten Bedarf der Bevölkerung erhoffte man sich auch die Erwirtschaftung von Devisen durch Exporte ins westliche Ausland. Nachdem es bei der Besteckproduktion im volkseigenen Betrieb Stahl- und Walzwerk Riesa zu Problemen kam, wurde die Stasi beauftragt,  im Riesaer Werk zu ermitteln und Mitarbeiter zu überwachen.

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Während seines letzten denkwürdigen Auftritts vor der Volkskammer am 13. November 1989 bekannte Stasi-Chef Mielke: "[…] eine der wichtigsten Aufgaben war die Stärkung unserer sozialistischen Wirtschaft. […] Wir haben Hervorragendes, Genossen, geleistet, unsere Arbeit gemacht zur Stärkung unserer Volkswirtschaft."

Mit "unsere Arbeit gemacht" meinte Mielke nichts anderes, als dass sich die Stasi auch in den Betrieben der DDR für alles und jeden interessierte. Gab es zum Beispiel Probleme in der Produktion witterte das MfS sofort "feindliche Aktivitäten". Die Ursachen für die eigentlichen Schwierigkeiten waren jedoch meist ganz anderer Natur.

Vorhaben "Konsumgüterproduktion Besteckfertigung"

Das Ministerium für Erzbergbau, Metallurgie und Kali ordnete am 14. Dezember 1984 an, dass im Rohrkombinat Riesa ab Dezember 1986 Edelstahlbestecke zu produzieren sind. Hauptsächlich wurden dort Rohre für die Gasversorgung hergestellt. Und die eigentlichen Betriebe zur Herstellung von Bestecken waren die VEB Besteckwarenwerke Aue und VEB Alekto Freiberg.

Mit einer Ausweitung der Besteckproduktion wurden zwei Ziele verfolgt. Einerseits sollten die minderwertigen Aluminium-Bestecke, die in der DDR-Gastronomie weit verbreiteten waren, zumindest teilweise von den neuen Edelstahlprodukten aus Riesa ersetzen werden. Andererseits sollte auch der private Bedarf der Bevölkerung mit abgedeckt werden. Nicht zuletzt erhoffte man sich auch die Erwirtschaftung von Devisen durch Exporte ins westliche Ausland.

Planung ohne Investitionsmittel und Arbeitskräfte

Die Besteckproduktion im volkseigenen Betrieb Stahl- und Walzwerk Riesa entwickelte sich jedoch ab 1985/86 keineswegs nach den Erwartungen des zuständigen Ministeriums. Dem Vorhaben "Konsumgüterproduktion Besteckfertigung" standen von Anfang an größte Probleme gegenüber.

Es begann damit, dass die staatliche Plankommission das Projekt nicht in den Plan von 1985 eingeordnet hatte. So fehlte es in der Vorbereitungsphase an den nötigen Investitionsmitteln. Von den geforderten 200 Arbeitskräften standen gerade einmal 100 zur Verfügung.

Hinsichtlich der Exportpläne war es zudem fraglich, ob die neuen Produkte den hohen Qualitätsanforderungen in der Bundesrepublik genügen würden. Und auch im Inland rechnete man sich wenig Chancen aus. Die niedrigen Preise in der DDR und die dadurch zu erwartenden geringen Erlöse sprachen ebenfalls gegen einen Erfolg.

Den mit der Planung befassten Mitgliedern aus dem Rohrkombinat Riesa waren die Ursachen dieser Probleme durchaus klar; der SED-Kreisleitung in Riesa jedoch nicht. Sie informierte den Leiter der MfS-Kreisdienststelle Riesa, der daraufhin eine "Operative Kontrollakte" mit dem Namen "Besteck" anlegte.

Operativer Personenkontrolle "Besteck"

Die Aktivitäten der Stasi begannen im August 1985. Ziel der damit anlaufenden Ermittlungen war es, die Ursachen festzustellen die einer planmäßigen Realisierung des Vorhabens entgegen standen. Die Überwachung des verantwortlichen Leiters des Projekts sowie weiterer Mitarbeiter lief an.

Die Überprüfung der Mitarbeiter hinsichtlich ihrer politischen Zuverlässigkeit und fachlichen Kompetenz sollte zunächst zeigen, ob die Störungen in der Produktion absichtlich herbeigeführt wurden. Sie wären damit strafrechtlich verfolgbar gewesen. In der Akte des etwa zwei Jahre andauernden Vorgangs sind sieben inoffizielle Mitarbeiter verzeichnet, die hierzu Information lieferten.

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Ebenso dokumentierte die Stasi die von den Mitarbeitern geäußerten Meinungen. Kritik wurde von Ingenieuren und Arbeitern sowohl an der schlechten Versorgung mit Material und Maschinen als auch hinsichtlich des Nutzen und der Notwendigkeit einer Essbesteck-Produktion in einem Stahlwerk geäußert.

Der Verdacht der Stasi, die Störungen des Vorhabens seien durch Arbeiter im Riesaer Werk zustande gekommen, ließ sich jedoch nicht erhärten.

Auch für die Verantwortlichen im MfS stand nun fest, dass Fehlplanung und Misswirtschaft die Ursachen waren. Die Ermittlungen ergaben sogar, dass die in Riesa benötigten Maschinen für den Export vorgesehen waren und somit nicht geliefert werden konnten. Im Juni 1987 schloss die Stasi diese Akte.

 

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Mielke sprach in seiner anfangs zitierten Volkskammerrede von "Unzulänglichkeiten", die stets vom MfS an die "zuständigen Stellen" gemeldet wurden – genutzt hatte es den Betrieben jedoch selten etwas.