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Das Bild zeigt einen von zwei Panzerwagen eingekeilten Jeep auf einem Waldweg.

Katz-und-Maus-Spiel im Kalten Krieg

Mitarbeiter der westalliierten Militärverbindungsmissionen (MVM) waren dazu berechtigt, innerhalb der DDR Kontrollfahrten durchzuführen. Da sie bis auf wenige Ausnahmen Bewegungsfreiheit genossen, betrieben sie mehr oder weniger offen Militärspionage. Eine Disziplinierung der MVM konnte aber nicht durch DDR-Sicherheitsorgane, sondern nur durch die sowjetischen "Freunde" erfolgen. Das führte zu allerhand skurrilen Situationen, wie Beispiele aus dem Bezirk Suhl zeigen.

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Auf dem Gelände der Sendeanlage Döllberg bei Suhl kam es in den frühen Morgenstunden des 27. Juli 1975 zur kurzzeitigen Festnahme eines amerikanischen Majors. Zuvor hatten sich dieser und ein Sergeant, beide Angehörige der amerikanischen Militärverbindungsmission (MVM), mit ihrem Fahrzeug dem Objekt genähert, das zur damaligen Zeit als wichtige Nachrichtenvermittlungsstelle für die Bezirksbehörde der Deutschen Volkspolizei und die Bezirksverwaltung des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) fungierte. Der Major überkletterte einen Zaun und begann eifrig zu fotografieren. Wie Unterlagen aus dem Stasi-Unterlagen-Archiv Suhl dokumentieren, erfolgte kurz darauf die Festnahme durch einen Wachposten. Nach einigen Stunden trafen zwei sowjetische Offiziere ein und ließen sich den Vorfall schildern. Nach Abfassung eines Protokolls kam der Major frei und die Amerikaner fuhren davon. 

Der Major überkletterte einen Zaun und begann eifrig zu fotografieren.

Das Bild zeigt eine Bergkuppe, auf der sich mehrere Gebäude und funktechnische Anlagen befinden.

Ein permanentes Ärgernis

Die Bildung der MVM war ein Ergebnis des Zweiten Weltkrieges. Die UdSSR, die USA, Großbritannien und Frankreich kamen im Viermächteabkommen überein, spezielle Militärangehörige zu Verbindungszwecken untereinander auszutauschen. Diese durften in den jeweiligen Besatzungszonen Deutschlands Patrouillenfahrten durchführen. In der DDR konnten sich die Westalliierten frei bewegen. Doch ständige oder zeitweilige Sperrgebiete waren für sie tabu. Während der Fahrten durch die Bezirke der DDR nutzten die Besatzungen öffentliche Einrichtungen, also Hotels, Geschäfte, Gaststätten und Tankstellen. Die amerikanischen, britischen und französischen Militärangehörigen waren nicht bewaffnet und traten in den landeseigenen Uniformen mit Rangabzeichen auf. Auch die Fahrzeuge trugen spezielle Kennzeichen, die mit einer spezifischen Nummer und der jeweiligen Landesflagge versehen waren.

Die westalliierten MVM zeigten großes Interesse an den militärischen Potenzen der Nationalen Volksarmee (NVA) sowie an der Gruppe der sowjetischen Streitkräfte in Deutschland (GSSD). Dies implizierte die Ausspähung von Flugplätzen, Militärobjekten, Nachrichtenverbindungen, Marschrouten, Verkehrsknotenpunkten und Versorgungsleitungen. Ferner ging es um das Einholen von Informationen über Manöver und Militärtransporte. Die Möglichkeiten der DDR das Wirken der Westalliierten einzudämmen, waren überschaubar. Durch MfS, NVA, Volkspolizei und Zollverwaltung durften de jure keine Festnahmen, Durchsuchungen, Beschlagnahmungen oder Gewaltanwendung erfolgen. Zumeist beschränkte sich die Tätigkeit der bewaffneten Organe der DDR auf den Dreiklang: beobachten, berichten und blockieren. Nach einer durchgeführten Blockade verhandelten ausschließlich herbeigerufene höhere Offiziere der GSSD oder der sowjetischen Militärabwehr. Eine mögliche Disziplinierung der westalliierten MVM konnte nur durch die sowjetischen "Freunde" erfolgen. Diese fand aber nur selten statt, da solch ein Schritt Gegenreaktionen der Westalliierten den Sowjets in der Bundesrepublik gegenüber provoziert hätte. Dass es allerdings seitens der DDR zu Kompetenzüberschreitungen kam, wie etwa kurzzeitigen Festnahmen, verdeutlicht der Vorfall vom 27. Juli 1975 in der Sendeanlage auf dem Döllberg bei Suhl. 
 

Eine mögliche Disziplinierung der westalliierten MVM konnte nur durch die sowjetischen "Freunde" erfolgen.

Blockade an einer Tankstelle bei Bad Salzungen: Zu sehen ind ein Major der NVA (verdeckt), sowjetische Offiziere, eine Übersetzerin sowie zwei amerikanische Militärangehörige. 

Dauerthema Abwehr

Für die Beobachtung der westalliierten MVM innerhalb des MfS war die Hauptabteilung VIII verantwortlich. Diese arbeitete eng mit sowjetischen Dienststellen und mit weiteren Diensteinheiten des MfS zusammen. Das Arbeitsgebiet MVM-Abwehr entwickelte sich seit Bestehen des MfS zu einem Dauerthema: Allein über ein Dutzend Diplomarbeiten, die an der Juristischen Hochschule des MfS entstanden, thematisieren die Überwachung der westalliierten MVM. Ein Beleg dafür, dass sich das MfS mit einer Statistenrolle nicht abfinden wollte. Die für die Westalliierten interessanten Gebiete befanden sich auch im DDR-Bezirk Suhl. Die Abteilung VIII der MfS-Bezirksverwaltung Suhl registrierte für das Jahr 1986 43 Einfahrten westalliierter MVM. Dabei standen das Funkaufklärungsobjekt der NVA auf dem Schwarzen Kopf bei Zella-Mehlis, dessen Nebenstellen in Christes, Frauenwald und Öchsen und das 23. Motorisierte Schützenregiment der NVA in Bad Salzungen im Fokus. Diverse Kameraobjektive waren außerdem auf die Funkaufklärungs- beziehungsweise Radarobjekte der NVA auf dem Bleßberg, dem Pleß und bei der Ortschaft Steinheid, aber auch auf den Militärbahnhof Walldorf bei Meiningen, die Offiziershochschule der DDR-Grenztruppen auf dem Suhler Friedberg oder den Truppenübungsplatz bei Hildburghausen gerichtet. Ebenso zogen die zahlreichen Kasernen und Übungsplätze der sowjetischen Truppen in und um Meiningen und bei Römhild sowie die Funkaufklärungs- beziehungsweise Radarobjekte der GSSD auf dem Großen Gleichberg, dem Großen Finsterberg, der Hohen Geba, dem Schneekopf, bei der Ortschaft Steinheid und dem Stadtberg bei Hildburghausen regelmäßig das Interesse der Westalliierten auf sich.
 

Die Abteilung VIII der MfS-Bezirksverwaltung Suhl registrierte für das Jahr 1986 43 Einfahrten westalliierter MVM.

Das Bild zeigt einen von zwei Panzerwagen eingekeilten Jeep auf einem Waldweg.

Ungebetene Gäste

Die für die MVM-Abwehr innerhalb der MfS-Bezirksverwaltung Suhl federführende Abteilung VIII konzipierte diverse Maßnahmen, um das Agieren der westalliierten MVM zu beobachten und zu behindern. Zunächst versuchten MfS, NVA und Volkspolizei Objekte und Standorte, die nicht im ständigen oder zeitweiligen Sperrgebiet lagen, mit MVM-Hinweisschildern zu sichern. Diese wurden an roten Betonpfeilern angebracht und gaben dem Leser in englischer, französischer, russischer und deutscher Sprache unmissverständlich zu verstehen: "Durchfahrt für das Personal der ausländischen Militärverbindungsmissionen ist verboten!“ Die Praxis der MVM-Hinweisschilder geriet zwischen der DDR, der GSSD und den Alliierten zum Dauerstreitthema, weil Amerikaner, Briten und Franzosen diese nicht anerkennen wollten. Sie akzeptierten nur solche Sperrgebiete, die durch den sowjetischen Oberkommandierenden, mit der Übergabe entsprechenden Kartenmaterials, ausgewiesen wurden. 

Neben den MVM-Hinweisschildern installierte das MfS ein personalintensives System an Meldekräften. Einbezogen waren neben Hauptamtlichen und Inoffiziellen Mitarbeitern (IM) eine Vielzahl an, wie es im Duktus der Geheimpolizei hieß, "Partnern im politisch-operativen Zusammenwirken“. Dazu zählten Angehörige der NVA, der FDJ, der Volkspolizei, der Grenztruppen, der Betriebskampfgruppen, der Zivilverteidigung, aber auch die Mitarbeiter der Räte der Gemeinden, der Städte, Kreise und Bezirke. Überdies waren Anwohner militärischer Objekte, Beschäftige der Landwirtschaft und der Forstbetriebe, Krankenwagen-, Taxi- und Fernfahrer sowie Tankstellenpächter, Hotelmitarbeiter oder Mitglieder von Jagdgesellschaften in das Meldesystem integriert. Um die Meldekräfte entsprechend zu instruieren, führten die Mitarbeiter der Abteilung VIII der MfS-Bezirksverwaltung Suhl mehrstündige Diavorträge in den entsprechenden Behörden, Institutionen, Organisationen und Verbänden durch. 
 

Das Bild zeigt ein Fahrzeug, das in einer Schneewehe feststeckt. Direkt dahinter befindet sich ein Fahrzeug der Volkspolizei.

Fernglas, Kamera, Perücke

Neben MVM-Hinweisschildern und Meldekräften kamen durch das MfS mobile Beobachter zum Einsatz, die sich aus Hauptamtlichen und IM der Abteilung VIII rekrutierten. Diese durchliefen eine spezielle Ausbildung. Die mehrtägigen Schulungen fanden in konspirativen Objekten der Abteilung VIII der MfS-Bezirksverwaltung Suhl statt und beinhalteten Dia-Vorträge zu Rechten und Pflichten der MVM und das Kennenlernen von territorialen Schwerpunkten im DDR-Bezirk Suhl. Zusätzlich standen der Umgang mit Landkarte und Kompass, die Grundlagen der Beobachtung und Fotografie sowie der Spurensicherung auf dem Lehrplan. Auch auf das körperliche Ausdauertraining wurde Wert gelegt. Die mobilen Beobachter des MfS arbeiteten bei der Lokalisierung der Westalliierten oftmals mit Weg-Zeit-Kalkulationen, die von Schwerpunktkreuzung zu Schwerpunktkreuzung aufgestellt wurden. Kam ein Fahrzeug nicht an einer Schwerpunktkreuzung vorbei, konnte ein Gebiet intensiver durchsucht werden. In diesem Fall kontrollierten die mobilen Beobachter, oftmals unterstützt durch Kräfte der NVA und Volkspolizei, nun tiefgründig das Gebiet, fahndeten nach Reifenspuren und besetzten Ausfallstraßen. Bei diesen Aktionen trugen die Beobachtungskräfte der Umgebung angepasste grüne oder graue Bekleidung und waren mit Kameras, Funksprechgerät und Dienstwaffe ausgestattet. Teilweise veränderten sie mit Hilfe von Perücken, Bärten und Brillen ihr Aussehen, denn die Amerikaner, Briten und Franzosen versuchten ihre Verfolger zu fotografieren. Die Suche konnte in der Blockade von Fahrzeugen der westalliierten MVM gipfeln. Nach geglückter Blockade starteten MfS-Mitarbeiter meistens Störmanöver wie das Überziehen der Fahrzeuge mit einer großen Plane. Ferner wurde beobachtet, ob die Fahrzeugbesatzungen Dokumente vernichteten oder Filme unbrauchbar machten. Mit dem Eintreffen der sowjetischen Vertreter endete dann das Katz-und-Maus-Spiel, um schon bald wieder von neuem zu beginnen.

Beobachter der Abteilung VIII veränderten mit Hilfe von Perücken, Bärten und Brillen ihr Aussehen, denn die Amerikaner, Briten und Franzosen versuchten ihre Verfolger zu fotografieren. 

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