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"Akten müssen offen bleiben"

Roland Jahn im Interview mit dem Weser-Kurier, erschienen am 20. Januar 2014

Knapp 25 Jahre nach dem Mauerfall ist die Diskussion über den Verbleib der Stasi-Akten wieder neu entfacht. Zum Ende des Jahrzehnts enden mehrere Regelungen im Stasi-Unterlagen- Gesetz. Dann könnten die Akten ins Bundesarchiv überführt werden, so eine Forderung. Über eine mögliche Schließung der Stasi-Unterlagen-Behörde sprach Jörn Seidel mit deren Leiter Roland Jahn.

Herr Jahn, stimmt es, dass Sie eine Schließung Ihrer Behörde zum Ende des Jahrzehnts für denkbar halten?

Roland Jahn: Schließung klingt nach Schluss, genau das möchte ich vermeiden. Aber die Gesellschaft verändert sich. Daher muss man auch bereit sein, sich selbst zu verändern. Wichtig für die Aufarbeitung der SED-Diktatur ist, dass die Stasi-Akten weiterhin offen bleiben. Bei der Diskussion um die Zukunft der Behörde muss es im Kern um die Frage gehen, wie die Aufarbeitung in Zukunft bestmöglich organisiert werden kann. Darüber sollten wir ergebnisoffen diskutieren.

Was halten Sie von der Forderung, die Akten ins Bundesarchiv zu übergeben?

Roland Jahn: Wir müssen darauf achten, dass die Stasi-Unterlagen- Behörde auch etwas Symbolisches darstellt. Wir dürfen die Opfer nicht vor den Kopf stoßen. Besonders für sie ist diese Bundesbehörde eingerichtet worden. Diejenigen, die unter der Diktatur gelitten haben, dürfen nicht das Gefühl bekommen, unter die Aufarbeitung werde ein Schlussstrich gezogen. Zudem dürfen wir die internationale Bedeutung nicht außer Acht lassen. Nicht zu vergessen ist auch, dass unsere Mitarbeiter seit mehr als 20 Jahren Erfahrung im Umgang mit den Akten und mit dem Thema Staatssicherheit haben. Diese Kompetenz darf nicht auf der Strecke bleiben.

Der Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung, Thomas Krüger, schlägt vor, die Bildungsarbeit Ihrer Behörde an seine zu übertragen. Ein guter Vorschlag?

Roland Jahn: Die Bundeszentrale wird überhaupt nicht daran gehindert, das Thema Stasi und DDR zu behandeln. Schnellschüsse sind unangebracht. Ich begrüße daher die Entscheidung der Politik, zum Thema Zukunft der Stasi-Akten eine Expertenkommission einzuberufen. Am Ende wird der Bundestag über zukünftige Strukturen entscheiden.

Sie sagten einmal, nur gegen ein Viertel der 12 000 Westspione sei bisher ermittelt worden. Hat sich daran etwas geändert?

Roland Jahn: Die rechtliche Frage stellt sich ohnehin nicht mehr, denn die Fälle sind verjährt. Was aber immer noch stattfinden kann, ist Offenlegung und Aufklärung. Am Thema Hauptverwaltung A (Auslandsnachrichtendienst der DDR, d. Red.) sind wir weiterhin dran.

Ist die Aufarbeitung überhaupt noch nötig - auch aus der Perspektive Westdeutschlands und jüngerer Generationen?

Roland Jahn: Die Aufklärung der SED-Diktatur ist eine gesamtdeutsche Aufgabe. Nicht nur, weil die Stasi auch im Westen agierte, sondern weil sich jeder Bundesbürger fragen kann: Was habe ich für ein Verhältnis zur DDR gehabt? Habe auch ich einen Sozialismus auf deutschem Boden erträumt? Wie habe ich mich damals verhalten? Und auch für eine jüngere Generation ist es wichtig, sich mit Diktaturen auseinanderzusetzen - und damit, wie diese überwunden worden sind. Es geht um das Bewusstsein für Menschenrechte und die Förderung des Demokratiebewusstseins.

Sie haben bei Ihrem Amtsantritt verkündet, sich nach Möglichkeit von all Ihren Mitarbeitern zu trennen, die früher für den Staatssicherheitsdienst gearbeitet haben. Bisher ist Ihnen das kaum gelungen. Wie viele genau haben einer Versetzung zugestimmt?

Roland Jahn: Bei meinem Amtsantritt waren es 48 Mitarbeiter, die zuvor für die Stasi gearbeitet haben. Seitdem haben sechs der Versetzung in eine andere Behörde zugestimmt. Sechs weitere sind aus Altersgründen ausgeschieden. Weitere Versetzungen sind auf dem Weg.

Müssen Sie sich nicht eingestehen, mit ihrem Vorhaben gescheitert zu sein?

Roland Jahn: Ich habe ein Signal gesetzt. Mein Auftrag ist es, Aufarbeitung zu gewährleisten. Dazu gehört, auf die Empfindungen der Opfer einzugehen. Deshalb habe ich dieses Problem angepackt. Aber die Versetzungen müssen gesetzlich korrekt ablaufen. Und das dauert eben die Zeit, die der Rechtsstaat verlangt.

Das Interview führte Jörn Seidel