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"Ein Schlag ins Gesicht der Opfer"

Der Bundesrat billigte am 4. November 2011 die 8. Novelle des Stasi-Unterlagen-Gesetzes. Im Anschluss sprach Rasmus Buchsteiner mit dem Bundesbeauftragten Roland Jahn. Das Gespräch wurde am 5. November in der Schweriner Volkszeitung und den Norddeutschen Neuesten Nachrichten veröffentlicht.

Grünes Licht für das neue Stasi-Unterlagengesetz im Bundesrat: Bis zuletzt gab es gerade in den ostdeutschen Ländern starke Kritik an der Ausweitung der Überprüfungen von Mitarbeitern im öffentlichen Dienst. Waren die Vorbehalte für Sie nachvollziehbar?

Jahn: Es gab intensive Diskussionen, und das ist gut so. Ich freue mich sehr, dass jetzt auch der Bundesrat dem neuen Stasi-Unterlagengesetz zugestimmt hat. Es ist ein deutliches Zeichen, dass die Aufarbeitung des Unrechts der Stasi weitergehen muss. Dieses Gesetz ist eine hervorragende Grundlage für unsere künftige Arbeit.

Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) sieht das anders: Die Ausweitung anlassloser Stasi-Überprüfungen im öffentlichen Dienst wird seiner Meinung nach dem Ziel der Versöhnung nicht gerecht...

Jahn: Es geht bei diesem Punkt nicht um Versöhnung mit ehemaligen Stasi-Mitarbeitern, sondern um das Vertrauen in die öffentliche Verwaltung. Wer zwanzig Jahre als Fachbeamter oder Polizist gearbeitet und seinen Arbeitgeber nicht über die eigene Stasi-Vergangenheit informiert hat, hat Vertrauen missbraucht. Es geht darum, diejenigen zu finden, die ihren Arbeitgeber über lange Jahre hinweg angelogen haben. Transparenz und Wahrheit sind gut für die Gesellschaft.

Rechnen Sie nun mit einer regelrechten Welle von neuen Enthüllungen über Stasi-Verstrickungen im öffentlichen Dienst?

Jahn: Es geht hier ausdrücklich nicht um eine flächendeckende Überprüfung. Das neue Stasi-Unterlagengesetz weitet lediglich die Möglichkeiten zur Überprüfung aus. Kein Arbeitgeber ist gezwungen, davon Gebrauch zu machen. Dennoch: Ich halte es für gut zu wissen, wer im öffentlichen Dienst mit welcher politischen Vergangenheit tätig ist.

Knapp 50 frühere Mitarbeiter der Stasi stehen noch in Diensten Ihrer Behörde. Das neue Gesetz ermöglicht erstmals Versetzungen in andere Bereiche der Bundesverwaltung. Wann wird es dazu kommen?

Jahn: Ich habe immer gesagt: Wenn in der Stasi-Unterlagenbehörde frühere Mitarbeiter der Staatssicherheit tätig sind, ist das ein Schlag ins Gesicht der Opfer. Meine Aufgabe ist es, das Gesetz umzusetzen. Das schließt die Möglichkeit von Versetzungen ein. Ich arbeite aber nach wie vor an einvernehmlichen Lösungen. Es geht darum, den Mitarbeitern Stellenangebote zu unterbreiten, die sie als neue berufliche Chance für sich begreifen können.

Immer wieder wird der Ruf nach einer Überführung des Aktenbestandes ins Bundesarchiv laut. Wie lange braucht Deutschland noch eine eigenständige Stasi-Unterlagenbehörde?

Jahn: Das Gesetz ist der Arbeitsauftrag für die nächsten Jahre. Ich sehe keinen Anlass für eine Debatte darüber, wie lange es diese Behörde noch geben muss. Augenscheinlich wird sie von der Gesellschaft gebraucht.