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"Freiheit ist mein Thema"

Der Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, Roland Jahn, spricht in einem Interview mit der Obdachlosenzeitung "Strassenfeger" über seine Gefängnis-Erfahrung, über Zivilcourage, Meinungsfreiheit und über die DDRals "Diktatur, die durch Anpassung und ein System der Furcht regierte". Das Interview erschien in der April-Ausgabe des 2011.

Andreas Düllick ("Straßenfeger"): Was war Ihre erste Amtshandlung als neuer Bundesbeauftragter für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR?

Roland Jahn: Die Begrüßung meiner Mitarbeiter auf meiner Etage, mit Blumen für die hervorragende Organisation der Verabschiedung meiner Vorgängerin am Abend vorher.

Wie wurden Sie denn von Ihren Mitarbeitern aufgenommen? Sie haben ja angekündigt, 47 in Ihrer Behörde verbliebene ehemalige Stasi-Mitarbeiter zu entfernen?

Jahn: Offen und interessiert. Mit neugierigen Augen. Ich suche das Gespräch mit allen und muss ja auch selber das Haus noch kennen lernen. Aber ich habe schon jetzt festgestellt, dass wenn ich mit den Mitarbeitern rede, auch mit denen, die ehemals beim MfS angestellt waren, dann ist man offen für meine Argumente.

Sie sind in Jena geboren, haben Ihre Jugend dort verbracht und schon sehr früh begonnen, sich gegen das SED-Regime aufzulehnen. Warum? War es die Sehnsucht der Jugend nach Freiheit?

Jahn: Freiheit ist mein Thema. Ich wollte so leben wie ich es richtig fand. Und dabei bin ich immer schnell an Grenzen gestoßen, weil es in der SED-Diktatur keine wirkliche Freiheit gab, seine Meinung zu äußern. Mit dem Protest gegen die Ausbürgerung von Rolf Biermann 1976 fing es dann an, die Erfahrung, dass man schnell an Grenzen stößt.

Sie waren in Gera im Stasi-Knast eingesperrt. Wie tief hat sich diese Zeit in ihr Gedächtnis eingegraben?

Jahn: Wer einmal im Gefängnis saß, wird nie mehr vergessen, was es bedeutet, unfrei zu sein. Dennoch ist es wichtig, dass man darüber nicht verbittert und sein Lachen bewahrt.

Einer Ihrer besten Freunde, Matthias Domaschk, starb vor 30 Jahren im Stasi-Knast. Der Schriftsteller Jürgen Fuchs starb an einer seltenen Krebserkrankung. Er soll im Stasi-Gefängnis vorsätzlich vertrahlt worden sein. Diese Schicksale zeigen doch eigentlich wie sicher viele andere auch, dass die Stasi keinesfalls so harmlos war, wie sie heute von einigen Unverbesserlichen dargestellt wird, sondern gezielt Gegner getötet hat?

Jahn: Wie Matthias Domaschk gestorben ist, ist bis heute nicht genau geklärt. Aber er ist in der Stasi-Haft umgekommen. Das steht fest. Im Fall Jürgen Fuchs müssen wir weiter nachforschen.

Sie wurden 1983 gewaltsamen aus der DDR ausgebürgert. Eigentlich wollten Sie gar nicht in den Westen, warum nicht?

Jahn: Jena war meine Heimat, meine Familie lebte dort. Ich wollte nicht in der DDR-Diktatur leben, aber trotzdem wollte ich nicht einfach meine Heimat verlieren.

Kann ein Mensch wie Sie etwas lernen aus dem Kampf gegen die SED-Diktatur, Zivilcourage vielleicht?

Jahn: Es gibt kein Patentrezept. Jeder muss jeden Tag entscheiden, wann er sich anpasst oder wann er widerspricht.

Viele Menschen, die in der Bundesrepublik Deutschland aufgewachsen sind, verstehen auch heute das System DDRnicht. Können Sie da ein wenig Nachhilfe leisten? Wie hat dieser Staat funktioniert?

Jahn: Die DDR war eine Diktatur, die durch Anpassung und ein System der Furcht regierte. Niemand war davor sicher, nicht auch in die Fänge des Systems zu geraten. Willkürlich. Meine Mutter hat das nicht glauben wollen, bis ihr Sohn im Knast saß.

Kulturstaatsminister Bernd Neumann (CDU) will die Behörde mittelfristig auflösen, und auch andere Stimmen fordern, in den nächsten Jahren die Stasi-Akten Behörde abzuwickeln?

Jahn: Die Behörde ist ein Dienstleister. Sie wird solange existieren, wie sie gebraucht wird. Die Nachfrage nach Akteneinsicht ist ungebrochen. Die Anzahl der Anträge belegt das. Die Gesellschaft hat offenkundig einen Bedarf.

Ihre Behörde existiert nun schon geraume Zeit, hatte mit Joachim Gauck und Marianne Birthler zwei prominente Chefs. Was hat diese Behörde bislang geleistet und wo sehen Sie Fehler und Versäumnisse, die Sie während Ihrer Amtszeit aufarbeiten wollen?

Jahn: Die Geschichte der Behörde ist eine Erfolgsgeschichte. Nach der friedlichen Revolution haben wir es auch verstanden, die unmenschliche Geschichte des Spitzelapparates der Geheimpolizei friedlich offenzulegen, den betroffenen Bürgern ihre Akten zur Einsicht zu geben und über die Mechanismen aufzuklären. Damit sind wir beispielhaft in der Welt.

Welche Aufgabe sehen Sie als die wichtigste an für Ihre erste Amtszeit als Stasi-Unterlagen-Beauftragter?

Jahn: Mir ist es wichtig, den Alltag in der DDR und das System der Anpassung an das Regime besser zu verstehen. Wie konnte eine Diktatur so lange bestehen?

Sie sehen sich als Anwalt der Opfer. Was müssen wir darunter genau verstehen?

Jahn: Ich möchte den Opfern, die besonders unter der DDR-Diktatur gelitten haben, ein Fürsprecher sein. Im Prozess der Aufarbeitung kommt diese Perspektive manchmal zu kurz.

Sie wollen die Stasi-Unterlagen für alle Zeit zugänglich halten. Warum?

Jahn: Es ist eine einzigartige Chance, die Vergangenheit zu begreifen und für die Gegenwart und Zukunft unserer Demokratie zu lernen. Diese Chance kann man sich nicht entgehen lassen und die Akten sind der Schlüssel dazu.

Sie haben angekündigt, auch weiterhin Mitarbeiter des Öffentlichen Diensts auf mögliche Stasi-Verstrickungen zu untersuchen. Macht das 21 Jahre nach der Wende überhaupt noch Sinn?

Jahn: Das ist eine Entscheidung der Politik, die bei der anstehenden Novellierung des Stasi-Unterlagengesetzes diese Regelungen verlängern will. Offenkundig sieht die Politik da eine Notwendigkeit. Ich persönlich finde, dass diejenigen, die mehr als zwanzig Jahre ihre Mitarbeit für das Ministerium für Staatssicherheit verschwiegen haben, nicht weiter Karriere machen. Das Lügen darf nicht belohnt werden.

Unlängst haben sich ehemalige Offiziere der Nationalen Volksarmee (NVA), darunter der frühere NVA-Chef Armeegeneral im Tierpark Berlin getroffen und den 55. Jahrestag der NVA gefeiert. Einige kamen in Uniform. Anderenorts trafen sich Mitglieder der FDJ (Freie Deutsche Jugend) im Blauhemd zu Feierlichkeiten. Fällt das unter Demokratie und Meinungsfreiheit oder sollte man sich dagegen wehren?

Jahn: Ich gönne allen Menschen die Meinungsfreiheit, auch denen, die sie uns in der DDR nicht gewährt haben. Das gehört zur Demokratie.

Viele ehemalige DDR-Oppositionelle beklagen: Die Täter von damals werden immer lauter und frecher, die Opfer des Unrechtsstaates DDRwerden immer leiser und erfahren nicht den nötigen Respekt? Ist das so und wenn ja, warum?

Jahn: Dass ich mich als Anwalt der Opfer verstehe, hat sicherlich damit zu tun, dass ich denke, dass die Stimmen der Opfer nicht ausreichend gehört werden.

Ich wünsche Ihnen viel Erfolg für Ihre schwierige Aufgabe und ein gehöriges Maß an Mut und Hartnäckigkeit!

Das Gespräch führte Andreas Düllick