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Geheimdienst muss der Demokratie dienen

Roland Jahn im Interview mit der Rhein Zeitung Koblenz am 11. Juli 2014

100 Jahre Erster Weltkrieg, 75 Jahre Beginn des Zweiten Weltkriegs. Wie wollen Sie in diesem Jahr der großen Gedenkfeiern verhindern, dass 25 Jahre Mauerfall untergeht?

Jahn: Die Akten aus dem Stasi-Unterlagen-Archiv erinnern ja nicht nur an die Repression durch die SED-Diktatur. Sie dokumentieren auch den Freiheitswillen der Menschen aus der DDR im Jahr 1989. Das heben wir in diesem Jahr noch einmal besonders hervor.

Wird der Mauerfall in Deutschland aus ihrer Sicht richtig gewürdigt?

Jahn: In Deutschland hat sich durchgesetzt, dass 1989 eine Friedliche Revolution der Bürger stattfand und keine von oben verordnete Wende. Es waren die Bürger, die die Verhältnisse geändert haben. Das gilt auch für den Mauerfall: Nicht Schabowski und auch keine Offiziere an der Grenze haben das bewirkt, sondern die Menschen auf der Straße. Das gilt es immer wieder zu betonen: Das Volk hat Geschichte geschrieben, nicht einzelne Politikerköpfe.

Braucht es mehr Denkmäler und offizielle Veranstaltungen?

Jahn: Die Gesellschaft gestaltet das selbst. Man sollte nicht darauf warten, dass eine Regierung irgendwelche Veranstaltungen organisiert. Jeder Einzelne ist gefordert, diese Ereignisse zu würdigen. Jeder kann den Geist von 1989, von der Friedlichen Revolution in sein tägliches Leben hineintragen. Jeder kann den Geist des Widerspruchs praktizieren. Die Erfahrung von damals, das scheinbar Unmögliche ermöglicht zu haben, kann helfen, Herausforderungen anzupacken. Auf heute übertragen heißt das, dass auch Probleme wie das massenhafte Abhören durch die NSA lösbar sind. Da bin ich optimistisch. Wenn Menschen es geschafft haben, die Staatssicherheit der DDR zu stoppen, sollte doch diese Demokratie in der Lage sein, heutige Geheimdienste in die Schranken zu weisen.

Der Fall des BND-Mitarbeiters, der für den amerikanischen Geheimdienst geliefert haben soll, empört viele. Ihr Vorgänger an der Spitze der Behörde, Bundespräsident Gauck sagt, es reicht jetzt mal. Finden Sie das auch?

Jahn: Es ist doch naiv anzunehmen, dass die USA keine Spione auch bei uns haben. Es ist ja auch nicht das erste Mal. Dass Geheimdienste versuchen, sich Informationen zu beschaffen, wird doch niemand ernsthaft in Zweifel ziehen. Ich halte es für falsch, da zwei Dinge miteinander zu vermischen. Das massenhafte Ausspähen von Bürgern in Deutschland durch die NSA aber ist eine Sache, die mir durchaus Sorgen bereitet.

Nachdem was über Snowden und NSA bekannt wurde: Leben wir heute auf andere Art in einem Überwachungsstaat?

Jahn: Wir leben in einer Demokratie, die uns möglich macht, das zu verhindern. Mit dem Wissen aus der Diktatur in der DDR, wie dort eine Geheimpolizei die Macht einer Partei gesichert hat, können wir auch lernen zu erkennen, wo Demokratie in Gefahr gerät. Gerade wenn es darum geht, dass Grundrechte von Menschen verletzt werden. Da muss man dann auch sagen: Stopp, hier darf es so nicht weitergehen.

Ärgert es Sie, wenn in der aktuellen Debatte NSA und Stasi in einem Atemzug genannt werden?

Jahn: Man kann vergleichen, aber man muss aufpassen, nicht gleichzusetzen. Natürlich gibt es Methoden, die gleich sind. Abhören ist abhören. Aber eine genaue Betrachtung der Apparate macht klar, dass sie in sehr unterschiedlichen Systemen mit anderen Zielen wirken.

Fühlt man sich der Überwachung heute noch ohnmächtiger ausgeliefert als unter der Stasi, weil man gar nicht unbedingt weiß ob und warum man überwacht wird?

Jahn: Gefühle sind subjektiv, aber es auch eine Frage des Prinzips. Eine Geheimpolizei in der Diktatur ist dazu da, Menschenrechte zu unterdrücken. Ein Geheimdienst in der Demokratie ist eigentlich dazu da, Menschenrechte zu schützen. Und das gilt es sicherzustellen.

Was ist, wenn daran Zweifel aufkommen, dass er das tut?

Jahn: Dann müssen die Instrumente der Demokratie Wirkung zeigen. Wir haben ja die Möglichkeit, in einer offenen und kritischen Diskussion die Probleme anzugehen. Unsere Parlamentarier können die Dienste kontrollieren. Sie können sie im Zweifel sogar abschaffen. Das muss genutzt werden und hier wird sich beweisen, wie lebendig die Demokratie ist und ob sie in der Lage ist, sich zu schützen.

Sind die Stasi-Akten vor dem Hintergrund der heutigen technischen Möglichkeiten allmählich so antiquiert wie das Papier aus dem Sie sind?

Jahn: Die Stasi-Akten sind etwas ganz Besonderes. Erstmalig in der Welt sind damals die Akten einer Geheimpolizei gesichert und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden. Die Stasi-Unterlagen sind ja auch ein Denkmal, das uns mahnt. Die Arbeit von Geheimdiensten darf sich niemals verselbständigen. Daran erinnern uns die Akten, gerade angesichts der technischen Entwicklungen.

Eine Kommission prüft jetzt, ob es Ihre Behörde nach 2019 noch geben sollte. Erklären Sie unseren Lesern in Koblenz, warum Sie für eine Behörde zahlen sollten, die die Akten eines untergegangenen Landes verwaltet?

Jahn: Wir sehen mit Blick in die Stasi-Akten auch, dass die Aufarbeitung des Wirkens dieser Geheimpolizei eine gesamtdeutsche Angelegenheit ist. Wir sehen, dass die Stasi im Westen gewirkt hat und versucht hat, dort Einfluss zu nehmen. Und es geht auch um die nächste Generation. Auch für Menschen, die in den westdeutschen Bundesländern aufwachsen, ist es doch hilfreich zu begreifen, wie Diktatur funktioniert hat, um so sensibilisiert Demokratie gestalten zu können.

Stecken in den Akten denn noch Skandale und Geschichten, die die Geschichtsschreibung verändern können?

Jahn: Natürlich gibt es immer noch die Möglichkeit, dass es einzelne Enthüllungen gibt. Aber so ein Archiv ist insgesamt wichtig für die historische Aufarbeitung. Wie hat ein System funktioniert? Welche Mechanismen gab es? Da kann das Archiv helfen, Antworten zu geben. Und zusätzlich ist es ein Monument. Die Akten sind ein Symbol für den Überwachungsstaat DDR und auch für die Friedliche Revolution, weil mit der Öffnung der Akten einer Geheimpolizei etwas Einmaliges gelungen ist.

Wünschen Sie sich manchmal, die Ostdeutschen würden selbstbewusster sein?

Jahn: Gerade aus der Erinnerung an die Friedliche Revolution können die Ostdeutschen Selbstbewusstsein ziehen. Sie haben es geschafft, die Verhältnisse zu verändern. Das war kein Geschenk der Bundesrepublik Deutschland.

Wann endet die Aufarbeitung der DDR. Wie weit sind wir damit?

Jahn: Wir sind mittendrin und es sind noch viele Fragen unbeantwortet: Warum hat diese Diktatur so lange funktioniert? Warum haben sich Menschen angepasst und so das System am Leben gehalten? Das sollten wir systematisch untersuchen. Die Debatten werden nach wie vor emotional geführt. Selbstverständlich wird die Akteneinsicht nach und nach zurückgehen, weil viele schon in ihre Akte geschaut haben. Aber die Angehörigen von Verstorbenen nutzen die Möglichkeiten nun verstärkt, genauso wie Forschung und Medien. Die Akteneinsicht ist eine sehr erfolgreiche Form geworden, sich mit Geschichte auseinanderzusetzen.