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"Ich will zu einem Klima der Versöhnung beitragen"

In der Thüringer Tageszeitung 'FREIES WORT' vom 31. Mai 2011 wirbt Roland Jahn für ein Aufarbeitungsklima, in dem "die Verletzungen der Opfer geheilt werden" und plädiert für eine breiter angelegte DDR-Aufarbeitung: "Die Fixierung auf die Staatssicherheit hat eine Schieflage ergeben. Es reicht nicht zu sagen, die Stasi war der Grund allen Übels". Aus seiner Sicht müssten die damals "Handelnden heute immer wieder herausgefordert werden, sich zu ihrer Verantwortung zu bekennen".

Herr Jahn, Sie besuchen heute die Außenstelle Ihrer Behörde in Suhl. Ist das zugleich Antritts- wie Abschiedsbesuch, da die Außenstelle nach einem Konzept Ihrer Vorgängerin aufgelöst werden soll?

Jahn: Für mich ist das ein Antrittsbesuch. Ich will mich in allen Außenstellen kundig machen, wie und unter welchen Bedingungen die Arbeit erfolgt. Ich will darauf aufbauen, was bisher an guter Arbeit in den Außenstellen geleistet worden ist.

Was halten Sie davon, die Stasi-Akten aus Suhl und Gera in Erfurt zu konzentrieren?

Jahn: Ich bin der Meinung, dass unsere Behörde dafür da ist, bürgernah als Dienstleister für die Gesellschaft zu arbeiten. Wie es mit den Außenstellen weitergehen soll, ist für mich vorerst offen. Als Journalist habe ich gelernt: Erst recherchieren, dann senden. Daher will ich erst alles genau anschauen und dann eine Meinung äußern.

Wäre es nicht ein Verlust für die Beschäftigung mit Staatssicherheit und DDR-Diktatur, wenn die Außenstellen geschlossen würden?

Jahn: Es muss abgesichert sein, dass in den Regionen weiter Aufarbeitung stattfinden kann. Es geht um die Zusammenarbeit des Bundesbeauftragten mit den Landesbeauftragten, mit den verschiedenen Gedenkstätten. Es geht um die gesamte Aufarbeitungs-Landschaft.

Ihre Forderung, dass 48 frühere Stasi-Mitarbeiter nicht mehr in der Behörde arbeiten sollen, hat scharfe Kritik ausgelöst. Trifft es Sie, wenn Sie der SPD-Politiker Dieter Wiefelspütz einen "Eiferer" nennt?

Jahn: Jeder hat natürlich das Recht, seine Meinung zu äußern. Damit kann ich gut leben. Aber ich würde mir wünschen, dass alle zusammen nach einer Lösung des Problems suchen. Ich habe etwas benannt, mit dem ganz viele Menschen unzufrieden sind.

Rechtfertigt es die Rücksichtnahme auf Stasi-Opfer, dass die 48 Beschäftigten, die offenbar keine Fehler gemacht haben, versetzt oder gar entlassen werden?

Jahn: Von entlassen habe ich nie gesprochen. Die arbeitsrechtliche Position wird jetzt geprüft. Dazu wird es im Juni ein Gutachten geben. Ich bin per Gesetz verpflichtet, politische Aufarbeitung zu gewährleisten. Das heißt auch, Rücksicht zu nehmen auf die Empfindungen der Stasi-Opfer. Für die ist es nicht gut, dass ehemalige Stasi-Leute bei uns arbeiten.

Rechnen Sie mit einem Rechtsstreit?

Jahn: Das ist Spekulation. Ich will Besonnenheit und Sachlichkeit. Ich selbst kann das Problem gar nicht lösen, das muss die Politik tun. Die Mitarbeiter haben Arbeitsverträge mit der Bundesrepublik Deutschland, das heißt beste Voraussetzungen, an anderen Stellen eingesetzt zu werden.

Sind ehemalige Stasi-Leute auch in den Thüringer Außenstellen tätig?

Jahn: Ja, einer in Erfurt und einer in Gera.

Sollten auch im Umgang mit einstigen Stasi-Leuten nicht mittlerweile Kategorien wie Verjährung und Vergebung gelten?

Jahn: Ich will ganz grundsätzlich antworten: Mit meiner Arbeit möchte ich dazu beitragen, ein Klima der Versöhnung zu schaffen. Dazu gehört es, die Bedingungen zu schaffen, dass die Verletzungen der Opfer geheilt werden. Nur dann wird es Vergebung und Versöhnung geben. Dafür müssen Stasi-Opfer das Gefühl haben, dass unsere Behörde eine glaubwürdige Arbeit macht.

Aber selbst bei Straftätern wird der Eintrag im Strafregister nach einer bestimmten Zeit gelöscht ...

Jahn: Wir sind hier nicht im Strafrecht. Wir sind hier bei einer politisch-historischen Aufarbeitung. Da kann nichts gelöscht werden. Selbstverständlich haben solche Menschen eine zweite Chance verdient. Aber dem muss vorausgehen, dass sie sich zu ihrer Verantwortung bekennen. Dann können sie auch an dieser Gesellschaft teilhaben.

Seit März sind Sie Bundesbeauftragter. Wofür wird Ihre Behörde mehr als 20 Jahre nach Mauerfall und Wiedervereinigung noch gebraucht?

Jahn: Wir stehen dafür, dass Aufarbeitung wirklich stattfindet. Allein im vorigen Jahr gab es fast 90 000 Anträge auf persönliche Akteneinsicht. Zudem gibt es einen großen Bedarf bei Wissenschaft und Medien. Unsere Archive zeigen die Sammelwut und das Ausmaß der Überwachung der DDR-Bevölkerung. Zunehmend fragen junge Menschen, wie ihre Eltern und Großeltern in der Diktatur gelebt haben. Je besser sie diese Diktatur begreifen, desto besser können sie die Demokratie mitgestalten. In dem Sinn sind wir so etwas wie eine Schule der Demokratie.

Wo sehen Sie Defizite bei Aufarbeitung der DDR-Diktatur?

Jahn: Die Fixierung auf die Staatssicherheit hat eine Schieflage ergeben. Es reicht nicht zu sagen, die Stasi war der Grund allen Übels. Vielmehr muss deutlich werden, dass die SED der Auftraggeber war und auch die Räte in Bezirken, Kreisen und Städten die Diktatur stabilisierten. Die Handelnden müssen heute immer wieder herausgefordert werden, sich zu ihrer Verantwortung zu bekennen.

Das Interview führte Eike Kellermann