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Interview mit dem Stasi-Unterlagebeauftragten Jahn

"Es gibt keinen Schlussstrich" Als "Schild und Schwert der Partei", also der SED, verstand sich die Staatssicherheit der DDR. Ihre umfangreichen Akten liegen seit fast einem Vierteljahrhundert bei der Stasi-Unterlagen-Behörde, die das Wirken des Geheimdienstes aufarbeitet. Mit dem Leiter der Behörde, Roland Jahn, sprach Ben Zimmermann über die Zukunft des Archivs und das Interesse an der DDR Geschichte.

Herr Jahn, knapp 25 Jahre nach dem Mauerfall: Haben Sie Verständnis für Leute, die sagen: "Nun ist aber mal gut mit der Stasi, macht endlich einen Deckel drauf!"?

Roland Jahn: Jeder hat natürlich die Freiheit, sich nicht mit dem Thema zu beschäftigen. Aber es ist eine verpasste Chance, sich darüber aufklären zu lassen, was Diktatur war und wie sie überwunden wurde. Das Signal für hier und heute heißt: Die Gesellschaft ist veränderbar.

Die Stasi-Unterlagen-Behörde ist trotzdem im Umbruch. Eine Expertenkommission berät über die Zukunft ab 2019. Wie soll die Ihrer Meinung nach aussehen?

Jahn: Wichtig ist, dass es keinen Schlussstrich gibt und die Aufarbeitung der SED-Diktatur weitergeht. Dabei helfen die Stasi-Akten, und deswegen müssen sie offen bleiben. Die Frage ist nun, in welchen Strukturen das am effektivsten geschieht.

Und wie lautet Ihre Antwort?

Jahn: Mein Wunsch ist es, dass man sich nicht so sehr auf die Stasi fixiert, sondern die Gesamtheit des SED-Systems betrachtet und auch den Alltag der Menschen mit einbezieht, um zu begreifen, wie die Diktatur funktioniert hat. Dabei darf man natürlich das Unrecht, das geschehen ist, nicht vergessen.

Immer wieder wird gefordert, Ihre Behörde ins Bundesarchiv in Koblenz zu integrieren. Was halten Sie davon?

Jahn: Wir sind auch ein Archiv des Bundes . . .. . . das einen besonderen symbolischen Wert hat. Das stimmt. Deswegen ist es auch wichtig, dass das Stasi-Unterlagen-Archiv als Ganzes erhalten bleibt, am Ort der Entstehungsgeschichte - nicht nur für die Nutzung der Akten, sondern auch als ein Monument, das mahnt. Es geht um bestmögliche Unterstützung der Aufarbeitung, Forschung und Bildung. Die Frage der Trägerschaft des Archivs ist dabei nicht entscheidend.

Die Zahl der Anträge auf Akteneinsicht geht seit Jahren zurück. Lässt das Interesse an der Stasi nach?

Jahn: Dass die Zahl der Anträge zurückgeht, ist ein ganz natürlicher Prozess. Aber das Interesse wird deshalb nicht geringer. Wir haben gerade auf Borkum unsere Wanderausstellung präsentiert, da kamen in drei Wochen 6000 Besucher. Und Monat für Monat verzeichnen wir immer noch über 5000 Anträge von Bürgern auf Akteneinsicht.

Umfragen belegen, dass das Wissen über die DDR recht gering ist - ironischerweise im Osten noch ausgeprägter als im Westen. Warum?

Jahn: Ich denke, das Interesse bei den Jugendlichen ist durchaus da. Sie wollen sich dazu auch selbst in Bezug setzen. Der Blick in die Vergangenheit schärft doch die Sicht auf die Gegenwart.

Vielleicht etwas simpler: Teilweise können Schüler Personen wie Erich Honecker historisch nicht mehr einordnen. Wie kann da gegengesteuert werden?

Jahn: Ich denke, dass in den Schulen mehr getan werden könnte. Doch es sind alle gefordert: die Schulen, die Gedenkstätten, die staatlichen Institutionen. Wir müssen uns auch bei den Formen und Methoden, die die Jugendlichen wirklich ansprechen, etwas einfallen lassen. Ihnen etwas eintrichtern zu wollen, das funktioniert nicht.

Die Stasi wird zumeist nur in Verbindungen mit der DDR gesehen, obwohl sich auch im Westen Spitzel von ihr anwerben ließen. Ist das nicht eine einseitige Sicht?

Jahn: Bei unseren Recherchen stoßen wir immer wieder auch auf Westdeutsche, die für die Stasi gearbeitet haben. Deshalb beschäftigen wir uns auch mit dem Thema. Erst vor kurzem haben wir ein Gutachten vorgelegt, in dem umfassend dargelegt ist, wie die Stasi versucht hat, auf den Bundestag einzuwirken. Aufarbeitung ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.

Das heißt?

Jahn: Jeder Bundesbürger sollte sich vielleicht selbst mal überprüfen, wie seine Sicht auf die DDR war. So mancher West-Linker hatte da einen recht blauäugigen Blick, viele waren vielleicht auch gleichgültig. Das zu reflektieren, kann nicht falsch sein.

Seit Ihrem Amtsantritt betreiben Sie die Versetzung ehemaliger Stasi-Mitarbeiter aus Ihrer Behörde. Können Sie verstehen, wenn Ihnen - als ehemaligem Dissidenten - deshalb späte Rache vorgeworfen wird?

Jahn: Es geht doch darum, dass es für Stasi-Opfer belastend ist, wenn sie hier mit ehemaligen Offizieren der Staatssicherheit zu tun haben. Das nehme ich ernst.

Die Leute arbeiten schon seit Jahren in Ihrer Behörde, und Ihre Vorgänger hatten kein Problem damit.

Jahn: Auch meine Vorgängerin hat die Beschäftigung ehemaliger Stasi-Mitarbeiter in dieser Behörde als eine schwere Belastung bezeichnet. Ich möchte dieses Problem lieber spät als nie lösen. Es geht doch um die Symbolwirkung, die ist für die Opfer sehr wichtig. Und da gehen wir Schritt für Schritt den Weg, menschlich respektvoll und rechtlich korrekt, die Mitarbeiter in andere Bundeseinrichtungen zu versetzen.

Was hat der ehemalige Bürgerrechtler Jahn gedacht, als er zum ersten Mal von den Spitzeleien der NSA hörte?

Jahn: Weil ich kein ehemaliger Bürgerrechtler bin, sondern immer noch für Bürgerrechte eintrete, kann ich es nicht akzeptieren, wenn die NSA unsere Grundrechte verletzt. An dieser Stelle ist ganz klar die Politik gefordert, dass sie das unterbindet.

Die Politik - zuallererst in Gestalt von Bundeskanzlerin Angela Merkel - hat aber sehr lange gebraucht, um zu reagieren. Hätten Sie sich mehr Engagement gewünscht?

Jahn: Man muss natürlich zuerst analysieren, was geschehen ist, um dann zu reagieren. Wichtig ist jedenfalls, dass deutlich gemacht wurde, dass die Verletzung von Grundrechten nicht akzeptabel ist. Gerade die Lehren aus der DDR zeigen doch, wie wichtig es ist, Geheimdienste demokratisch zu kontrollieren, denn sie haben immer das Bestreben, sich zu verselbstständigen.

Einige Beobachter haben das Vorgehen der NSA mit dem der Stasi verglichen. Was halten Sie davon?

Jahn: Eine Gleichsetzung verhöhnt die Stasi-Opfer. Natürlich gibt es bei der Arbeit von Geheimdiensten Parallelen. Doch Geheimdienste in der Demokratie haben den Auftrag, Menschenrechte zu schützen, in der Diktatur ist das Gegenteil der Fall. Und wenn hier etwas schiefgelaufen ist, müssen alle Instrumente der Demokratie genutzt werden, das zu ändern.

Das Gespräch führte Ben Zimmermann.