Direkt zum Seiteninhalt springen

"Es ist ein guter Tag"

Liebe ehemalige politische Häftlinge,
sehr geehrte Damen und Herren!

Es ist ein guter Tag. Wir alle, hier zusammen an diesem Tag, an diesem Ort, frei versammelt, wo einst Menschen wegen des Eintretens für ihre Rechte eingesperrt wurden. Ja, das ist schon so etwas wie ein kleiner Triumph. Ein Zeichen für die Kraft des Guten. Für die Kraft der Menschen, sich ihre Rechte zu erkämpfen. Ein Zeichen für den Triumph der Demokratie über die Diktatur.

Es ist auch ein verrückter Tag – denn welcher Häftling geht schon gern in seine Knastzelle zurück? Ich bin heute mit einem Grinsen auf dem Gesicht nach Cottbus gefahren, zurückgekehrt an den Ort, an dem auch ich zu DDR-Zeiten 1983 für einen Monat inhaftiert war.

Es ist ein guter Tag und ein guter Ort, weil wir jetzt hier in einer Gedenkstätte die Geschichte eines Gefängnisses und vor allem die Geschichte Hunderter von Menschen, denen großes Unrecht geschehen ist, erzählen können.

In einem Dokumentarfilm ist der ehemalige politische Häftling Peter Wulkau schon vor einigen Jahren hierher zurückgekehrt. Da war das Gelände weit davon entfernt, eine Gedenkstätte zu sein. Die Wände waren mit Graffiti besprüht, die Scheiben zerborsten, die Türen ausgehangen. Aber die Knastzellen, die Schlafsäle waren noch da. Und seine Erinnerungen.

Die Begegnung mit dem Ort seiner dunkelsten Stunden brachte Peter Wulkau in dem Film zum Reden. Er erinnerte sich an die Schikanen, die Knastarbeit. Und an die Suche nach einem Weg, Mensch zu bleiben, im Zuchthaus Cottbus. Und dann sang er ein Lied, das viele hier auch kennen.

"Rings um uns sind hohe Mauern,
und das Leben wird zur Qual,
doch wir werden nicht bedauern,
was das Schicksal uns befahl.
Das ist das Zuchthaus Cottbus,
Symbol des Sozialismus, in Aktion!"

Das war die Haltung der Gefangenen. Sie haben nicht bedauert, dass sie sich für die Menschenrechte eingesetzt haben.

In meiner kurzen Zeit hier habe ich viele beeindruckende Häftlinge getroffen. Menschen, die inhaftiert waren, weil sie eingetreten sind für Meinungsfreiheit, Versammlungsfreiheit, Reisefreiheit.

In der Rückschau habe ich oft gedacht, dass das Zuchthaus Cottbus schon damals ein Zentrum für Menschenrechte war. An diesem Ort hier kamen sie zusammen, die Streiter, die für die Menschenrechte bis in den Knast gegangen sind.

Liebe ehemalige Häftlinge, Eure Zeit im Zuchthaus Cottbus war nicht umsonst.

Ihr alle, die ehemaligen politischen Häftlinge, jeder einzelne, der hier aus politischen Gründen gesessen hat – Ihr alle habt einen Anteil daran, dass der "Sozialismus in Aktion" ein Ende hatte, die Mauer gefallen ist, dass wir jetzt in Freiheit und Selbstbestimmung leben.

Und dazu kommt, dass jetzt hier in Cottbus an diesem Ort der Repression tatsächlich ein Zentrum für Menschenrechte der Öffentlichkeit zugänglich ist. Die Häftlinge von damals sind nicht verhaftet im Leid der Vergangenheit, sie haben einen Lernort für die Zukunft geschaffen.

Unter den vielen Schicksalen die in der Ausstellung zu sehen sind möchte ich eines hervorheben.

Uwe-Carsten Günnel war 25 Jahre, verurteilt wegen West-Kontakten, als er hier 1981 ankam. Wie kaum ein anderer in jener Zeit wurde er malträtiert, weil er sich besonders unbeugsam zeigte. Weil er sich seine Menschenwürde nicht nehmen lassen wollte und dagegen hielt.

Dadurch hat er die besonders herausgefordert, die im Knast die SED-Diktatur repräsentierten. Und er hat die Härte des Systems mit einer besonders langen Zeit in strenger Einzelhaft spüren müssen. Über zwei seiner dreieinhalb Jahre Strafe war er dort eingesperrt.

Unrecht hat einen Namen. Wenigstens die Wärter, die besonders hart zuschlugen, wurden dafür im vereinten Deutschland verurteilt. Auch weil Uwe-Carsten Günnel nicht locker ließ, ihr Unrecht zu benennen und es vor Gericht zu bringen.

Heute leben die Täter von damals mit uns zusammen in der Demokratie. Auch die Knastwärter aus Cottbus. Sie nehmen ihre Rechte auf Meinungsfreiheit, auf Versammlungsfreiheit, auf Reisefreiheit war. Das ist auch gut so, das ist Teil unserer Demokratie. Auch sie genießen nun die Rechte, die sie uns früher vorenthielten. Aber eines können sie nun nicht mehr, uns die Selbstbestimmung nehmen.

Und darum ist hier und heute ein guter Tag.
Heute am internationalen Tag der Menschenrechte.

Hier in Cottbus im Zentrum für Menschenrechte wird das, was Ihr, die ehemaligen politischen Häftlinge ertragen mussten, in das verkehrt was es war – ein erfolgreicher Kampf für Menschenrechte und Freiheit.